Sonntag, 8. Mai 2011

Verliebt in Pirula - oder " Das Maultier, ein verkanntes Genie "








Hand aufs Herz - wer kann sich unter einem Maultier wirklich etwas vorstellen ? Gut, es ist eine Kreuzung zwischen Pferd (Stute ) und Esel ( Hengst ), das haben wir alle mal gelernt. Aber dann ? Verbanden wir damit die dröge dahintrottenden Lasttiere der Gebirgsjäger......und das war meist auch schon alles. Was ein Mula ( spanisch für Maultier) wirklich zu bieten hat, lernte ich auf der Hacienda Los Andes. Nach 6 Autostunden auf der Panamericana Richtung Norden und dann über einsame Schotterpisten , vorbei an wilden Eseln und Ziegen, erreichten wir mit unseren Freunden den traumhaft gelegenen Reiterhof im noch sehr ursprünglichen Valle Hurtado.
Für den nächsten Tag war ein fünfstündiger Ausritt in die Anden geplant. Ein Blick auf die umgebenden Gebirgszüge, im Abendlicht kupfergrün und fahlgelb schimmernd, machte uns klar, dass unser Reitausflug mehr den Charakter einer alpinen Bergbesteigung haben würde, so steil war das Gelände. Wohlig gesättigt nach dem Abendessen, besprachen wir mit Tanja, der Leiterin, bei einem Glas ( oder mehreren ) Carmenere den morgigen Ablauf und natürlich die Verteilung der Pferde. " Wir haben auch ein Mula", meinte sie , zwinkerte kurz und fuhr fort " das ist mein Geheimtipp ! " Ich wollte mehr wissen und sie erklärte mir, dass Pirula, so war ihr Name, weicher und angenehmer zu reiten sei als jedes Pferd. " Oh ja, das klingt gut, ich möchte Pirula !", kam meine Antwort, ohne nur eine Sekunde zu überlegen. Ich hatte nicht nur noch nie auf einem Maultier gesessen, ich hatte auch noch nie in meinem Leben eines gesehen. Aber der Gedanke gefiel mir ungemein. :)
Am nächsten Morgen sah ich Pirula vor mir und wir mochten uns sofort ! Sie war eine Schönheit, ihre grossen Ohren verliehen ihrem Blick die besondere Tiefe und ihre ruhige Gelassenheit inmitten des hektischen Aufbruchs unserer Gruppe, vermittelte mir ein Gefühl der Geborgenheit.
Auf der kurzen ebenen Strecke, die dann folgte, fühlte ich mich so bequem, als reiste ich in einer Sänfte. Tanja hatte recht gehabt, Pirulas Schritt war angenehm sanft und wiegend. Ich war vollkommen entspannt, hielt die Zügel, dicke, geflochtene Kordeln, in einer Hand, so, wie es uns gezeigt worden war. Ein kurzes Anheben und sanftes Berühren einer Halsseite genügte, um sie zu lenken. Sehr plötzlich wurde der Pfad steinig, ziemlich steil, eng und kurvig. Pirula rutschte nicht ein einziges Mal auf dem Geröll. Ihre schmalen, unbeschlagenen Hufe fanden den Weg mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit. Vor und hinter mir hörte und sah ich die anderen Pferde da und dort schlittern . Ich kannte das Gefühl aus früherer Erfahrung, wusste, wie es sich anfühlte - aber bei Pirula war nichts davon zu spüren. Unbeirrt und gleichmässig setzte sie ihre Schritte und ich war zutiefst beindruckt. In den darauffolgenden Stunden, die wir durch diese karge, nur von Säulenkakteen und Dornbüschen bevölkerte Landschaft ritten, lernte ich noch viel mehr über Mulas, diese von Menschen erschaffene, erstaunliche Spezies.
Im Vergleich zu Pferden schneiden Maultiere ungleich besser ab.
- Sie sind schwindelfrei, Pferde nicht
- Sie sind keine Fluchttiere, also viel weniger furchtsam
- Ihre Augen sehen nachts deutlich besser
- Sie sind trittsicherer in schwierigem Gelände
- Sie sind resistenter gegen Krankheiten und Parasiten
- Sie ertragen Hitze, Kälte und Regen besser als Pferde
- Sie haben eine deutlich höhere Lebenserwartung ( 40-50 Jahre)
- Sie sind stärker belastbar und erholen sich schneller von Strapazen
- Ihre Hufe und Zähne sind härter und fester
- Sie können ihre Reiter gegen Raubtiere ( Wölfe und Pumas ) erfolgreich verteidigen und diese
sogar töten ( ein Pferd sucht sein Heil in der Flucht )
- Sie brauchen weniger Futter
- Sie sind gutmütiger und einsatzfreudiger
- Als Tragtier schaffen sie 150 kg über 40 km weit
Ich kann nur sagen : Während der ganzen 5 Stunden fühlte ich nie auch nur einen Hauch von Angst oder Unsicherheit. Es war die entspannteste "Pferde" - Erfahrung, die ich bis jetzt gemacht hatte !! "Warum ist Pirula nicht das begehrteste Reitier eurer ganzen Truppe?", fragte ich Tanja. " Sie ist ein Traum !" fügte ich begeistert hinzu, als wir am späten Nachmittag zurück gekehrt waren. "Ach, weisst du, " meinte Tanja seufzend, " die meisten Gäste betrachten es als unter ihrer Würde, ein Maultier zu besteigen. Es ist kleiner und ihnen nicht edel genug . "
"Sie wissen nicht, was sie versäumt haben", stellte ich fest und kraulte Pirula zwischen ihren ausdrucksstarken Ohren. Am nächsten Tag brach eine kleine Gruppe zu einem Zweitagesritt auf. Pirula liess sich geduldig zu einem Packesel verschnüren und trottete an einem dicken Seil hinter Fernando, dem Guide her. Langsam bogen beide um die Ecke des Berghangs und das letzte was ich von Pirula sah, war ihr dünner Schweif, der gleichmässig und rhythmisch nach beiden Seiten schlug.